Dokument vom:
12.02.2008
Schriften Band 55 (2006)

Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft 55 (2006)

herausgegeben von Heinrich Detering und Gerd Eversberg


Inhalt

Vorwort

 

Heinrich Detering „Nur ein Spielmann“: Der dänische und der deutsche Storm S. 9
Clifford Albrecht Bernd Storms dänisch-deutsche Sozialisation: Husum und Kiel im dänischen Gesamtstaat S. 27
Dieter Lohmeier Theodor Storm und die schleswig-holsteinische Frage S. 33
Lutz Rühling Storms dänischer Antipode: Steen Steensen Blichers ‚schwarzer’ Realismus S. 47
Karin Hoff Thomasine Gyllembourgs Alltagsgeschichten und die Anfänge des Poetischen Realismus im dänischen Gesamtstaat S. 57
Andreas Blödorn „Bei mir ist immer etwas dahinter“. Jüdisches Leben und poetische Wirklichkeiten in Meïr Aron Goldschmidts abgründig ironischem Realismus S. 65
Søren R. Fauth Arthur Schopenhauer und der dänische Realismus vor und um 1900 S. 79
Leif Ludwig Albertsen Graue Stadt am eintönigen Meer. Zu Theodor Storms Weg aus der vorgeformten in die dichterische Sprache S. 87
Louis Gerrekens und Eckart Pastor Storms späte Novelle „John Riew’“ oder: Wie alles gut wurde S. 99
Gerd Eversberg Stormforschung und Storm-Gesellschaft S. 117

 

Buchbesprechungen

Theodor Storm: Anekdoten, Märchen, Sagen, Sprichwörter und Reime aus Schleswig-Holstein. Texte, Entstehungsgeschichte, Quellen. Unter Berücksichtigung der von Theodor Mommsen beigetragenen Sagen nach den Handschriften und Erstdrucken herausgegeben von Gerd Eversberg. Heide 2005. (Gundula Hubrig-Messow)

No-Eun Lee: Erinnerung und Erzählprozess in Theodor Storms frühen Novellen (1848-1859). (Husumer Beiträge zur Storm-Forschung Bd. 4.) (Daniela Langer)

Karl Ernst Laage: Liebesqualen. Theodor Storm und Constanze Esmarch als Brautpaar. Heide: Boyens 2005. (Gerd Eversberg)

Winfried Freund: Theodor Storm: „Pole Poppenspäler“. Königs Erläuterungen und Materialien, Band 194. Hollfeld: C. Bange Verlag 2003. (Jean Lefebvre)

Annika Schank: Theodor Storm: „Der Schimmelreiter“. Königs Erläuterungen und Materialien, Band 194. Hollfeld: C. Bange Verlag ²2004. (Jean Lefebvre)

Manfred Eisenbeis: Theodor Storm: „Der Schimmelreiter“. Interpretationshilfe Deutsch. Freising: Stark Verlag 2004. (Jean Lefebvre)

Thomas Steensen: Im Zeichen einer neuen Zeit. Nordfriesland 1800 bis 1918. Bredstedt: Nordfriisk Instituut 2005. (Gerd Eversberg)

ZweiGeist. Karl Emil Franzos. Ein Lesebuch von Oskar Ansull. Potsdam: Deutsches Kulturforum östliches Europa 2005. (Potsdamer Bibliothek östliches Europa. Literatur.) (Walter Hettche)

Wimmer Wilkenloh: Hätschelkind. Der erste Fall für Jan Swensen. Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2005. (Fiete Pingel)

Thomas Friedrichsen: Husumer Geschichten. 96 S. 17,90 Euro. Sutton Verlag, Erfurt 2005. (Fiete Pingel)

Richtlinien zur Manuskriptgestaltung

Verzeichnis der Mitarbeiter


Vorwort

Die vorliegende Ausgabe unserer Schriften dokumentiert im ersten Teil alle Beiträge des Internationalen Symposions, das anlässlich der Stormtagung im September 2005 in Husum stattfand. Es stand unter dem Titel „Nationalliterarische Ausdifferenzierung und interkulturelle Dynamik: Storm und die dänisch-deutschen Literaturbeziehungen im Poetischen Realismus“ und wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung. Ziel der Tagung war es, am Beispiel Storms die Spannungen zwischen der Konstituierung nationalliterarischer Frontstellungen einerseits, einer fortwirkenden interkulturellen (und das heißt auch: intertextuellen) Dynamik andererseits für den Poetischen Realismus zu rekonstruieren. Denn in kaum einem Bereich der Realismusforschung im deutschen Sprachraum haben nationalliterarische Fixierungen der Germanistik seit dem späten 19. Jahrhundert so lange und so unheilvoll nachgewirkt wie eben in der Beschäftigung mit dem Werk Storms. Die kriegerischen Auseinandersetzungen und die auf beiden Seiten erbittert geführten dänisch-deutschen Kulturkämpfe des 19. Jahrhunderts, die in veränderten Konstellationen auch noch nach dem 2. Weltkrieg wieder aufflammten, haben eine – oft nur subkutane und eben deshalb umso wirksamere – ideologischen Aufladung und politische Instrumentalisierung dieses Werkes bewirkt, von der sich die Storm-Rezeption nur mühsam hat befreien können. Storms politisches Engagement im Sinne des nationalliberalen Widerstands gegen die dänische Monarchie schien diese Vereindeutigungen zu legitimieren. Und mit der „Heimatkunstbewegung“ des frühen 20. Jahrhunderts und der völkischen Literaturgeschichtsschreibung der zwanziger und dreißiger Jahre wurde er vollends zum Repräsentanten einer entschieden ‚nationalen’ Ausrichtung des Poetischen Realismus stilisiert. Die erfolgreichen Bemühungen der neueren Storm-Forschung, das Werk von den Verfälschungen als einer gehobenen Heimatliteratur zu befreien (namentlich seit der Werkausgabe von Karl Ernst Laage und Dieter Lohmeier), haben entschieden neue Akzente gesetzt und gewandelten Forschungsinteressen die Richtung gewiesen, ebenso eine Reihe von Einzelstudien auf deutscher wie dänischer Seite (namentlich in Aufsätzen von Laage und Lohmeier, Leif-Ludwig Albertsen und anderen). In jüngster Zeit hat der an der Universität von Kalifornien lehrende Realismusforscher Clifford A. Bernd mit seiner Monographie „Theodor Storm: The Dano-German Writer“ (2004) eine erneute Fachdiskussion in Gang gebracht. Ziel des Symposions waren nicht lediglich neue Akzentuierungen innerhalb des Werkes eines bedeutenden Repräsentanten des Poetischen Realismus, sondern es ging auch um die Öffnung eines neuen komparatistischen Horizonts. Sie bedeutet einen Übergang von nationalgeschichtlichen Fragestellungen zu Kategorien einer interkulturellen Dynamik, die in unserem Fall Dänemark und Deutschland auch als ein kulturelles Kontinuum in den Blick nimmt. Alle Vorträge und Diskussionen zielten darauf, Storms Werk im dänisch-deutschen Kontext seiner Epoche zu positionieren. Es sollte also nicht lediglich um Einfluss-Studien gehen, um unmittelbare Anregungen und Vorbilder, sondern um das Exemplarische des „Falles“ Storm. Die Tagung stand damit in enger Kontinuität zum letzten Storm-Symposion „Kunstautonomie und literarischer Markt: Konstellationen des Poetischen Realismus“ (in deren Verlauf das jetzige Thema bereits als Desiderat formuliert worden ist).

Teilgenommen haben an dem von Heinrich Detering konzipierten und geleiteten Symposion zehn Germanisten, Skandinavisten und Komparatisten von sieben Universitäten aus drei Ländern. Die Vorträge waren drei aufeinander folgenden Sektionen zugeordnet: 1. Zur historischen Konstellation; 2. Anfänge des Realismus im dänischen Gesamtstaat; 3. Grenzüberschreitungen im späten Realismus. Durchgehend beteiligt waren auch Gerd Eversberg und Karl-Ernst Laage (Storm-Gesellschaft Husum).

Eine zusammenfassende Darstellung von Storms Sozialisation im dänisch-deutschen „Gesamtstaat“ und ihren Folgen für sein literarisches Werk versucht der Beitrag von Heinrich Detering (Universität Göttingen) zu geben, der zugleich der Festvortrag der Stormtagung war; dabei spielt das Werk Hans Christian Andersens eine zentrale Rolle. Danach resümiert Clifford A. Bernd (University of California, Davis) einige seiner wichtigsten Beobachtungen und Thesen zum ‚dänischen’ Storm; ihm antwortet Dieter Lohmeier (Universität Kiel) mit seiner Darstellung der schleswig-holsteinische Frage. Die folgenden vier Beiträge stellen dänische Schriftsteller des Poetischen Realismus vor, die für das literarische Feld, in dem Storms Werk entsteht, in vieler Hinsicht nicht weniger wichtig sind als die deutschsprachigen Autoren seiner Zeit. Lutz Rühling (Universität Kiel) vergleicht Storms Erzählverfahren mit Novellen des jütländischen Frührealisten Steen Steensen Blicher, Karin Hoff (Universität Bonn) mit den „Alltagsgeschichten“ Thomasine Gyllembourgs. Andreas Blödorn (Bergische Universität Wuppertal) porträtiert den jüdischen Erzähler Meïr Aron Goldschmidt als zentrale Gestalt des dänischen Realismus; schließlich erweitert Søren R. Fauth (Syddansk Universitet, Odense) die Perspektive in die Zeit des Übergangs vom Realismus zur Frühmoderne hinein, in der die Philosophie Schopenhauers sich als grenzüberschreitend dominierende ‚Meistererzählung’ erweist. Leif-Ludwig Albertsen (Universität Aarhus) beschließt diesen Teil mit seinen Überlegungen zu Storms Lyrik.

Erfreulich groß und kontinuierlich war die Teilnahme von Gästen, Wissenschaftlern wie Mitgliedern der Storm-Gesellschaft, die sich immer wieder auch an den sehr lebhaften, zuweilen kontroversen Diskussionen beteiligten. Der Veranstaltungsort, die ehemalige Husumer Gelehrtenschule, erwies sich als ideale historische Kulisse für die Debatten.

Im zweiten Teil dieses Bandes beschäftigen sich die belgischen Germanisten Eckart Pastor und Luis Gerrekens (Liège) mit Storms Novelle „John Riew’“. Sie bedienen sich bei ihrer Texterschließung auch psychoanalytischer Aspekte, die uns auf Hinter- und Abgründe aufmerksam machen, denen wir bei Storm häufig begegnen, wenn er die erotische Anziehung von Kindfrauen schildert. Der Erzähler breitet vor dem Leser einen „furchtbaren Stoff“ aus, den die Interpreten als Verführung und Misshandlung der zehnjährigen Anna durch den Alkoholiker John. Die Sache selbst wird allerdings nicht direkt erzählt, sondern im Durchgang durch zwei „Bewusstseinssiebe, über die wir letzten Endes genauso viel erfahren wie über den Stoff selbst.“ Die genaue Textanalyse, mit der uns die beiden Verfasser auf eine Fülle bisher unbeachteter Details hinweisen, macht Lust darauf, die Novelle noch einmal zu lesen – umso mehr, als hier Motive herausgearbeitet werden, die auch in anderen Erzählungen Storms erscheinen und weitere Forschung verdienen.

Wie in jedem Jahr schließen sich die Berichte von der Arbeit im Storm-Haus an, das nach seiner Renovierung nun in zwei Häusern der Husumer Wasserreihe residiert und den neuen Namen „Theodor-Storm-Zentrum“ trägt. Wir hoffen, dass wir durch die Erweiterung des Archivs und durch die Neugestaltung des Museums den Gästen unserer beiden Einrichtungen intensivere Eindrücke vermitteln und bessere Arbeitsbedingungen bieten können.

Wegen der langen Renovierungs- und Umzugsarbeiten müssen wir die Storm-Bibliographie von unserer Bibliothekarin Elke Jacobsen auf das nächste Jahr verschieben.

Im letzten Abschnitt dieser „Schriften“ finden unsere Leser wieder eine Reihe von Buchbesprechungen, mit denen wir einen Teil der Neuerscheinungen auf dem Medienmarkt rezensieren, die sich mit Theodor Storm und seinem Umfeld beschäftigen.

 

Heinrich Detering Gerd Eversberg
(Präsident) (Sekretär)
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