Der Schimmelreiter - Filme
Filme
- „Der Schimmelreiter“ in drei Literaturverfilmungen
- Filmographie
- 1933/34
- 1977/78
- 1984
- Der Fernsehfilm von 1985
„Der Schimmelreiter“ in drei Literaturverfilmungen
Viele Besucher, die nach Husum reisen und in der Stadt und im Kreis Nordfriesland auf den Spuren Theodor Storm wandern, wollen sehen, wo der Schimmelreiter entlang ritt und nacherleben, wo und wie Storms bekannteste Gestalt gelebt und gewirkt hat. Schließlich gibt es im Kreisgebiet ja einen Schimmelreiter-Krug und einen Hauke-Haien-Koog. Kaum eine andere literarische Gestalt hat sich in den Köpfen der Leser so realistisch eingeprägt wie Storms „Schimmelreiter“.
Dazu haben auch die drei Filme beigetragen, die 1933, 1978 und 1984 nach der Novelle gedreht wurden. Die Landschaft an der Küste Nordfrieslands ist ohne den Deichbaumeister Hauke Haien und ohne den Spuk des gespenstischen Reiters für viele nicht mehr vorstellbar. Und da liegt die Vermutung nahe, dass Storm, als er 1885 mit den Vorarbeiten zum „Schimmelreiter“ begann, auf eine Sage zurückgriff, die seit langer Zeit in seiner nordfriesischen Heimat mündlich tradiert worden war.
Allerdings lässt sich vor dem Erscheinen von Storms gleichnamiger Novelle (1888) weder in Nordfriesland noch in Dithmarschen eine Schimmelreiter-Sage belegen. Wir haben es nämlich mit einer Übertragung der literarischen Fiktion in die kollektive Vorstellung von Menschen zu tun, die in der Region leben oder sich durch ihre Storm-Lektüre dem Handlungsraum der Erzählung nahe fühlen. So ist die literarische Gestalt zu einer vermeintlichen Sagengestalt geworden, eine Umkehrung des sonst üblichen Prozesses, in dem regionale Sagengestalten von Schriftstellern zu literarischen Figuren umgeformt werden.
Die Sage hat ihren Ursprung an der Weichsel und wurde 1838 erstmals mit der Überschrift „Der Deichgeschworene zu Güttland“ veröffentlicht; Storm hat sie nur einmal im Alter von zwanzig Jahren gelesen hat, konnte sich aber fast fünfzig Jahre später noch genau an alle Einzelheiten erinnern. Denn er hat nicht nur die Fabel des gespenstigen Reiters nach der Sage wiedergegeben, sondern auch die in der Quelle vorliegende Rahmenstruktur in seine Novelle übernommen.
Moderne Literaturwissenschaftler verstehen sich immer mehr als Medienwissenschaftler, und das bedeutet, sie beschränken sich bei ihren Analysen nicht mehr nur auf den gedruckten Text, sondern beziehen auch andere Transformationen von Texten in ihre Überlegungen mit ein, z.B. Fernsehspiele, Filme und Hörspiele.
Der realistische, erzählende Film hat seine Wurzeln in der realistischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts, die von manchen Forschern als Vorformen des filmischen Erzählens verstanden werden, wie es sich im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Es ist aus dieser Sicht eine falsche Vereinfachung, wenn der Literatur-Film als bloße Verfilmung einer literarischen Vorlage verstanden wird, weil dadurch der eigenständige Wert des neuen Mediums Film unterschlagen wird.
So wie jeder Novellentext von Theodor Storm oder jeder Romantext von Theodor Fontane neben den jeweils behandelten Inhalten eine formale Struktur aufweist, die sich als Erzähltechnik, Kompositionsweise, sprachliche Gestaltung, Symbolverkettung usw. beschreiben lässt, und die in vielfältiger Weise mit dem erzählten Inhalt verknüpft erscheint, so lassen sich auch filmische Mittel benennen, mit deren Hilfe der Spielfilm gestaltet wird.
Die intensive Beschäftigung mit dem Medium Film hat eine Fülle solcher filmischer Zeichen zutage gefördert, die ganz ähnlich wie die erzählerischen Gestaltungsmittel in der Literatur verwendet werden. Ein Teil der Filmästhetik ist die Filmsprache, die es dem Team um den Regisseur ermöglicht, das Drehbuch in angemessener Weise zu realisieren. Wir Zuschauer bekommen eine Art „Text“ präsentiert, der aus den Elementen Bild, Sprache und Ton komponiert ist. Im Gegensatz zum Leser eines Buch-Textes wird dem Zuschauer eines Filmes bereits ein komplexes Vorstellungsganzes geliefert. Dennoch muss der Filmbetrachter eine Fülle von optischen und akustischen Reizen ebenso entschlüsseln, wie dies der Leser einer Novelle oder eines Romans zu leisten hat.
Storms Novellen weisen eine große Nähe zum erzählenden Film auf; das hat damit zu tun, dass die Prinzipien der filmischen Verknüpfung von Teilen zu raum-zeitlichen Handlungsganzen Ähnlichkeiten aufweist mit der Art und Weise, in der Storm erzählt; seine Arbeitsweise, einzelne Szenen zunächst auszuarbeiten und sie dann zu einem Ganzen zu komponieren, entspricht der Verknüpfung von Einstellungen und Szenen im Spielfilm. Das ist auch in der Ähnlichkeit des Poetischen Realismus mit dem erzählenden Realismus des Literaturfilms begründet.
Dennoch gibt es zwischen einem literarischen Text und einem Literaturfilm eine Reihe von Unterschieden. Der Erzählvorgang selbst ist für die gesamte Novellistik Storms bedeutsam; Erzählen und Erinnern werden zu zentralen Mitteln seiner realistischen Darstellung. Storm wählt das Erinnerungsmotiv, um in dem Leser den Eindruck hervorzurufen, dass aus der Erinnerung heraus erzählt wird. Auch dadurch erreicht der Autor eine Nähe zu lebendigem mündlichen Erzählen. Diese Fiktion der Mündlichkeit ist aber nicht nur für die Entwicklung der Stormschen Erzählkunst von Bedeutung, sie bleibt charakteristisches formales Merkmal bis zur Altersnovelle „Der Schimmelreiter“.
Der erste Schimmelreiter-Film entstand 1933 nach dem Drehbuch von Curt Oertel und Hans Deppe und gilt als einer der frühsten ideologisch dem Nationalsozialismus verpflichteten deutschen Spielfilme. Die weltanschauliche Deutung der Novelle spiegelt zugleich die in der Wilhelminischen Ära ebenso wie in der Weimarer Republik dominierende Sichtweise der Novelle wider: Hauke Haien wird als Helden- und Führergestalt gezeigt, der sich gegenüber einer ignoranten Masse durchsetzen muss; der Held verkörpert völkische Wertprinzipien wie Ehre und Treue, Mut und Härte, Leistungswille, Schöpferkraft, Kämpfertum und Opferbereitschaft. Damit entspricht dieser Film den Vorstellungen des NS-Propagandisten von der weltanschaulich bildenden Funktion der scheinbar unpolitischen Unterhaltungsfilme, wie sie in den nächsten zwölf Jahren von der UFA in Massen produziert wurden. Große historische Persönlichkeiten wurden genutzt, um sie in Analogie zu Adolf Hitler als Führer und Vorbilder darzustellen.
„Der Schimmelreiter”, UFA 1933/34; Matthias Wiemann als Hauke Haien
Die nordfriesische Landschaft spielt ebenfalls eine ideologische Funktion; neben dem Moment des Nordischen passt das Grundmotiv des Kampfes der Menschen gegen die ewigen Naturgewalten - der Film wurde in und um Husum gedreht - in die Programmatik des Kampfes um den Lebensraum der dreißiger Jahre.
„Der Schimmelreiter”, UFA 1933/34; Szene beim Deichbau
Zugleich zeigt Oertels Film aber auch ein anderes ideologisches Moment, nämlich das entgegengesetzte der Deheroisierung, womit die Funktion der Gemeinschaft für den Einzelnen gemeint ist.
„Der Schimmelreiter”, UFA 1933/34; Marianne Hoppe als Elke Volkerts
Der zweite Schimmelreiter-Film, der 1978 wiederum in Nordfriesland gedreht, war ein rein kommerzielles Projekt, das allein auf die Unterhaltung des Publikums abzielte.
„Der Schimmelreiter”, BRD 1977/78; Szene Reiterfest mit Gert Fröbe als alter Deichgraf
Die stilistische und dramaturgische Konzeption ist allein von der Absicht geprägt, publikumsrelevante Unterhaltung zu schaffen; das führt zum Beispiel zu einer - dem Novellentext völlig konträren - Versöhnung zwischen Hauke Haien und seinem Erzrivalen Ole Peters, die schließlich in völliger Eintracht eine Doppelhochzeit feiern.
„Der Schimmelreiter”, BRD 1977/78; John Phillip Law als Hauke Haien
Der Regisseur Alfred Weidenmann wollte von Anfang an einen reinen Unterhaltungsfilm drehen und hatte nie die Absicht, sich künstlerisch mit Storms Novelle auseinander zu setzen.
„Der Schimmelreiter”, BRD 1977/78; Anita Ekström als Elke Volkerts
Der dritte Schimmelreiter-Film entstand 1984 als Kooperation des Fernsehens der DDR mit dem polnischen Fernsehen. Regie führte Klaus Gendries, der den Film in der ursprünglichen Region an der Weichsel drehte, aus der die Sage durch Storm nach Nordfriesland importiert wurde. Dieser Film steht in der Tradition Stormscher Erzählkunst und versucht, mit filmischen Mitteln eine mögliche Interpretation umzusetzen, die im Kontext der Diskussion über das „bürgerliche Erbe“ im Zusammenhang des sozialistischen Realismus geführt wurde.
„Der Schimmelreiter”, DDR/Polen 1984; Jolanta Grusznic als Elke und Sylvester Groth als Hauke.
Es ist der einzige Film, der die Rahmentechnik Storms aufgreift und damit versucht, das für Storms Erzählkunst so bedeutsame Erinnerungsmotiv filmsprachlich umzusetzen.
Filmographie
Der Schimmelreiter (K) |
(Deutschland 1933/34) |
Fassung: |
35 mm, schwarz/weiß |
Länge: |
2.344 m (85 Minuten) |
Uraufführung: |
12.01.1934 in Hamburg |
Kopie: |
Schmalfilmvertrieb Bruno Schmidt, Berlin, sowie zahlreiche kommunale Bildstellen und Filmdienste (alle jeweils nur 16 mm) Videokopie im Handel |
Produktion: |
Rudolf Fritsch-Tonfilm Produktion, Berlin |
Buch: |
Curt Oertel und Hans Deppe nach der gleichnamigen Novelle |
Bauten: |
Gabriel Pellon |
Tonsystem: |
Tobis-Klangfilm |
Ton: |
Fritz Seeger u.a. |
Musik: |
Winfried Zillig |
Kamera: |
Alexander von Lagorio |
Regie: |
Curt Oertel und Hans Deppe |
Rollen und ihre Darsteller: |
|
Tede Volkerts |
Wilhelm Diegelmann |
Elke |
Marianne Hoppe |
Hauke Haien |
Matthias Wieman |
Vollina |
Ali Ghito |
Iven |
Hans Deppe |
Ole Peters |
Walther Suessenguth |
sowie |
Margarete Albrecht, Eduard v. Winterstein u.a. |
Außenaufnahmen: |
Husum und Nordfriesland |
„Der Schimmelreiter”, UFA 1933/34; Arbeitsphoto mit Regisseur Kurt Oertel und seinem Stab
Der Schimmelreiter (K) |
(Bundesrepublik Deutschland 1977/78) |
Fassung: |
35 mm Farbe |
Länge: |
2.621 m (96 Minuten) |
Uraufführung: |
29.03.1978 in Husum |
Produktion |
„Schimmelreiter“-Albis Film (Hamburg), Studio-Film (Bendestorf) und Zweites Deutsches Fernsehen |
Buch: |
Alfred Weidenmann nach der gleichnamigen Novelle |
Bauten: |
Roman Weyl |
Musik: |
Hans-Martin Majewski |
Kamera: |
Heinz Hölscher |
Schnitt: |
Klaus Dudenhöfer |
Regie: |
Alfred Weidenmann |
Gesamtleitung: |
Alf Teichs |
Rollen und ihre Darsteller: |
|
Hauke Haien |
John Phillip Law |
Elke |
Anita Ekström |
Deichgraf |
Gert Fröbe |
Ole Peters |
Dirk Galuba |
Vollina |
Vera Tschechowa |
Jess Harders |
Reinhard Kolldehoff |
Trin Jans |
Lina Carstens |
Jewe Manners |
Richard Lauffen |
Iven Johns |
Volker Bogdan |
Amtmann |
Werner Hinz |
sowie |
Katharina Mayberg, Peter Kuiper, Detlev Echstein, Wilfried Bertermann u.a. |
Außenaufnahmen: |
Wewelsfleth, Dithmarschen, Nordfriesland |
Innenaufnahmen: |
Studio Bendestorf |
„Der Schimmelreiter”, BRD 1977/78; Foto von den Dreharbeiten. (Willi Bertermann, Bredstedt)
Der Schimmelreiter (F) |
(Deutsche Demokratische Republik/Polen 1984) |
Fassung: |
35 mm, Farbe |
Laufzeit: |
95 Minuten |
Erstsendung: |
26.12.1984 (Fernsehen der DDR) |
Westdeutsche Uraufführung: |
07.09.1985 in Husum |
Produktion: |
Fernsehen der DDR und Telewizja Polska (Polnisches Fernsehen) |
Produktionsleitung: |
Helga Lüdde, Halina Kawecka |
Szenarium: |
Gerhard Rentzsch nach der gleichnamigen Novelle |
Dramaturgie: |
Bernd Schimer |
Szenenbild: |
Tadeusz Kosarewicz |
Musik: |
Jürgen Ecke |
Kamera: |
Jerzy Stawicki |
Schnitt: |
Karola Mittelstädt |
Regie: |
Klaus Gendries |
Rollen und iher Darsteller: |
|
Hauke Haien |
Sylvester Groth |
Elke Volkerts |
Jolanta Grusznic |
Deichgraf |
Lech Ordon |
Ole Peters |
Hansjürgen Hürrig |
Vollina |
Hansjürgen Hürrig |
Oberdeichgraf |
Fred Düren |
sowie |
Käthe Reichel, Jerzy Trela, Andzej Piecxnski u.a. |
Außenaufnahmen: |
Klockenhagen/Darß, Stralsund (Mecklenburg) und Ostseeküste bzw. Weichsel (Polen), Norseeküste (Nordfriesland) |
„Der Schimmelreiter”, DDR/Polen 1984; Elke beim Oberdeichgrafen
Der Fernsehfilm von 1985
Storm - Der Schimmelreiter (F) |
(Bundesrepublik Deutschland 1985) |
Fassung: |
16 mm, Farbe |
Laufzeit: |
74 Minuten |
Erstsendung: |
08.04.1986 (Deutsches Fernsehen/ARD) |
Produktion: |
Multimedia-Gesellschaft für audiovisuelle Information mbH (Hamburg) für den Bayerischen Rundfunk |
Buch: |
Christiane Höllger |
Ausstattung: |
Bernd Gaebler |
Musik: |
Thilo von Westernhagen |
Redaktion: |
Johannes C. Weiss |
Kamera: |
Wolfgang Treu |
Schnitt: |
Barbara Grimm |
Regie: |
Claudia Holldack |
Rollen und iher Darsteller: |
|
Theodor Storm im Alter |
Erland Josephson |
Stimme Theodor Storms |
Lothar Blumhagen |
Storm mit 20 Jahren |
Till Topf |
Dorothea Storm |
Renate Bleibtreu |
Paul Heyse |
Dietmar Mues |
Bertha von Buchan |
Saskia Tyroller |
sowie |
Silke Goes, Wanja Mues u.a. |
Außenaufnahmen: |
Nordstrand (Nordfriesland); Innenaufnahmen: Studio Hamburg |
Im Alter von 70 Jahren erfährt Storm, daß er unheilbar an Krebs erkrankt ist. Er hängt durch, gibt sich seinem Leiden hin. Frau, Kinder und Arzt bequemen sich zu der Lüge, das Ganze sei eine Fehldiagnose, er sei kerngesund. Storm blüht auf und verfaßt kurz vor seinem Tod sein Meisterwerk, die Novelle »Der Schimmelreiter«, die zur Saga der nordfriesischen Deichbauern wurde. [...] Christiane Höllger und Claudia Holldack machten daraus leider einen trockenen Fernsehfilm, der dem Betrachter zu mitternächtlicher Stunde lediglich ein Gähnen entlockte. Erland Josephson, angetan mit angeklebtem Rauschebart, las mit erhabenen Worten aus dem »Schimmelreiter« vor und ließ sich die Wolldecke reichen. Sanfte, einschläfernde Töne [...] barhaupt blieben die letzten Stunden dieses so sinnlich wirkenden Dichters inhaltsleer. Ein paar Figuren bewegten sich steif vor kahler Kulisse. Das Drama des Schimmelreiters - es starb im Fernsehsessel.
Uwe Witsch, in »Rhein-Post« (Düsseldorf), 10.4.1986
[...] grundsätzlich nichts einzuwenden ist gegen die Technik des Drehbuchs, die Biographie von einem Festpunkt her, eben vom siebzigsten Geburtstag und von der Arbeit am letzten vollendeten erzählerischen Werk [...] aufzurollen. Beschränkung auf Exemplarisches in Biographie und Werk war geboten. Hier aber versagt der Film, bleibt allzu einseitig. Er zeigt außer den Autor des »Schimmelreiters« nur noch den Spätromantiker Storm. [...] auf den Spannungsreichtum in der Persönlichkeit des Schriftstellers und auf eine Auseinandersetzung mit dem Werk läßt er sich nicht ein.
Walter Hinck, in »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 10.4.1986