Der Schimmelreiter - Sachliche und sprachliche Erläuterungen
Sachliche und sprachliche Erläuterungen
Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Textausgabe der Novelle Theodor Storm: Der Schimmelreiter. Hg. von Gerd Eversberg. Hollfeld 1996. (Königs Lektüren Bd. 3005).
Für die sachlichen und sprachlichen Erläuterungen wurden neben den Kommentaren zu den im Literaturverzeichnis aufgeführten Werkausgaben Storms der im Reclam-Verlag erschienene und von Hans Wegener verfasste Kommentar zu Storms „Schimmelreiter“ (Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart 1976) sowie die im Literaturverzeichnis aufgeführten Veröffentlichungen von Karl Ernst Laage zu Rate gezogen.
Storm fügte der im Jahre 1888 erschienenen Buchausgabe auf Anraten von Erich Schmidt und Jacob Baechtold folgende Worterklärungen bei:
Für binnenländische Leser:
Schlick |
der graue Ton des Meeresbodens, der bei der Ebbe bloßgelegt wird. |
Marsch |
dem Meere abgewonnenes Land, dessen Boden der festgewordene Schlick, der Klei, bildet. |
Geest |
das höhere Land im Gegensatz zur Marsch. |
Haf |
das Meer. |
Fenne |
ein durch Gräben eingehegtes Stück Marschland. |
Springfluten |
die ersten nach Voll- und Neumond eintretenden Fluten. |
Werfte |
zum Schutze gegen Wassergefahr aufgeworfener Erdhügel in der Marsch, worauf die Gebäude, auch wohl Dörfer liegen. |
Hallig |
kleine unbedeichte Insel. |
Profil |
das Bild des Deiches bei einem Quer- oder Längenschnitt. |
Dossierung (oder Böschung) |
die Abfall-Linie des Deiches. |
Interessenten |
die wegen Landbesitz bei den Deichen interessiert sind. |
Bestickung |
Belegung und Besteckung mit Stroh bei frischen Deichstrecken. |
Vorland |
der Teil des Festlandes vor den Deichen. |
Koog |
ein durch Eindeichung dem Meere abgewonnener Landbezirk. |
Priel |
Wasserlauf in den Watten und Außendeichen. |
Watten |
von der Flut bespülte Schlick- und Sandstrecken an der Nordsee. |
Demath |
ein Landmaß in der Marsch. |
Pesel |
ein für außerordentliche Gelegenheiten bestimmtes Gemach, in den Marschen gewöhnlich neben der Wohnstube. |
Lahnungen |
Zäune von Buschwerk, die zur besseren Anschlickung vom Strande in die Watten hinausgesteckt werden. |
Verzeichnis der Abkürzungen:
ahd. |
althochdeutsch |
dän. |
dänisch |
franz. |
französisch |
fries. |
friesische |
mhd. |
mittelhochdeutsch |
mnd. |
mittelniederdeutsch |
ndd. |
niederdeutsch |
lat. |
lateinisch |
S. 3 |
Was ich zu berichten beabsichtige: Die Novelle weist einen zweifachen Rahmen auf; Storm als Autor berichtet im ersten Abschnitt von einer früher gelesenen Geschichte (es handelt sich um die unter den Quellen abgedruckte Erzählung „Ein Reiseabenteuer“), der Erzähler berichtet dann von der Begegnung mit dem einsamen Reiter, seinem Ritt und der Einkehr ins Gasthaus. Die eigentliche Novelle von Hauke Haien ist wiederum eingebettet in die Erlebnisse mit den Männern dort, erzählt vom Schulmeister. Dieser kommentiert die Erzählung zusätzlich bei den Unterbrechungen. Der erste Rahmen wird zum Schluss nicht wieder aufgegriffen.
Frau Senator Feddersen: Senator ist die Bezeichnung für den damaligen Stadtrat von Handels- und Küstenstädten, wie Husum; man nannte die Frauen nach dem Titel ihrer Gatten. Elsabe Feddersen (1741 bis 1829) war die Großmutter Storms mütterlicherseits.
„Leipziger“ oder von „Pappes Hamburger Lesefrüchten“: Zwei Zeitschriften des 19. Jahrhunderts. Die erste erschien unter dem Titel „Leipziger Lesefrüchte, gesammelt in den besten literarischen Fruchtgärten des In- und Auslandes“ in den Jahren 1832 bis 1846; die zweite bestand von 1811 bis 1842 und wurde in Hamburg von Johann Joseph Christian Pappe (1768 bis 1856) unter dem Titel „Lesefrüchte vom Felde der neuesten Literatur des In- und Auslandes“ herausgegeben. Hier wurde die Erzählung „Der gespenstige Reiter“ nach dem Erstdruck im „Danziger Dampfboot“ (vergl. unter Quellen!) 1838 im 2. Band abgedruckt und von Storm gelesen.
linde: mdh: linde, nhd. lind: geschmeidig.
jene Zeit: die Jugendzeit Storms in Husum; vergl. die Skizze zu seiner Biografie. Die Sage vom Schimmelreiter spielt in der Mitte des 18. Jahrhunderts; Storm siedelt die Rahmenhandlung in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts an.
unseres Jahrhunderts: das 19. Jahrhundert.
Deich: hohe, künstlich aufgeschüttete Erdwälle an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, nach den Vorbildern der Holländer als Schutz vor den Sturmfluten geschaffen. Die Deiche wurden von Deichverbänden unterhalten, an denen die Landbesitzer beteiligt waren. Die Verfassung der Deichverbände ist aus dem nordfriesischen Recht entstanden; das Amt des Deichgrafen wurde jedoch Anfang des 17. Jahrhunderts aus den Niederlanden importiert. Auch das neue, nach der Seeseite flach auslaufende Deichprofil geht auf niederländische Entwicklung zurück.
Marsch: von fries. marste, engl. marsh; Sumpf; fruchtbares, tief liegendes Land, „dem Meer abgewonnenes Land, dessen Boden der festgewordene Schlick, der Klei, bildet“ (Storm).
Wattenmeer: von niederl. Wadden, wo man waten kann, „von der Flut bespülte Schlick- und Sandstrecken an der Nordsee“ (Storm); nur durch kleine Fahrzeuge mit geringem Tiefgang befahrbar.
Halligen: „kleine unbedeichte Insel“ (Storm); ein erhöhtes Stück Land, das bei Flut überschwemmt werden kann, auf dem aber auf Hügeln (Werften) Gehöfte liegen, die vom Hochwasser nicht erreicht werden.
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S.4 |
die Hufen: Plural des bis ins 19. Jh. gebräuchlichen fem. die Hufe neben der mask. Form der Huf.
Quartier: lat.-franz.; Unterkunft.
Harden: nach dem dän. herred, Bezirk; im Herzogtum Schleswig bezeichnete die Harde eine Verwaltungseinheit, die mehrere Kirchspiele umfasste.
Perinette- und Grand-Richard-Äpfel: früher angebaute Äpfelsorten.
Böen: Pl. für Böe, heftiger Windstoß. |
S. 5 |
fiel mir bei: veraltet für fiel mir ein.
Binnenseite des Deiches: die dem Land zugewandte Seite.
im Kooge: der Koog ist „ein durch Eindeichung dem Meere abgewonnener Landbezirk“ (Storm). auch: Polder
Wehle: fries. wial, Weel; mnd. wêl: ein bei einem Deichbruch hinter dem Deich ausgewühltes Loch, das mit Wasser gefüllt bleibt.
unbewegt: in der Reclam-Ausgabe ist angemerkt: „Außer in der benutzten Druckvorlage der Sämtlichen Werke und in der ersten Gesamtausgabe von Storms Schriften (Braunschweig 1889) steht auch in dem Schimmelreiter-Manuskript Storms, das in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel aufbewahrt wird, an dieser Stelle ‚unbewegt‘, was mitunter als sinnwidrig aufgefasst und in ‚bewegt‘ geändert wurde. Versteht man das vorangehende ‚trotz...‘ als ‚selbst wenn man noch den beschützenden Deich in Betracht zieht‘, so erscheint ‚unbewegt‘ korrekt. Bei dem herrschenden Wetter verdiente ‚bewegt‘ kaum die Beifügung ‚auffallend‘.“
Dieser Interpretation stimme ich nicht zu, denn wenn man das Folgende „der Reiter konnte es nicht getrübt haben“ mitbetrachtet, so scheint ‚bewegt‘ sinnvoll zu sein.
Werften: Werfte, Werft, Warft; ndd. Warf: „Zum Schutze gegen Wassergefahr aufgeworfener Erdhügel in der Marsch, worauf die Gebäude, auch wohl Dörfer liegen“ (Storm).
Binnendeiches: neben dem Außendeich, der direkt an der Angriffsfläche der Flut gebaut wird, schützen kleinere Binnendeiche auf der Landseite die niedriggelegenen Landstriche, falls der Hauptdeich einmal bricht vor weiterer Überflutung. In Gegenden, in denen neue Kooge gebaut worden sind, kann der frühere Außendeich auch zum Binnendeich geworden sein.
Ricks: Holzpfähle mit Querbalken vor den Häusern, woran an Ringen die Tiere festgebunden werden konnten. |
S. 6 |
„Is wull so wat“: ndd., mag wohl sein.
auf plattdeutsch: Mit den Begriffen Plattdeutsch oder Niederdeutsch werden alle die Mundarten zusammengefasst, die von der 2. oder hochdeutschen Lautverschiebung nicht betroffen waren. Bis ins 17. Jahrhundert war das Niederdeutsche auch Schriftsprache, wurde dann aber durch das Hochdeutsche verdrängt und lebt nur noch in den vielfältigen gesprochenen Dialekten weiter. Im vorigen Jahrhundert belebten Heimatschriftsteller wie der Freund Storms, Klaus Groth (1819 bis 1899), die heimatliche Dialektsprache als Schriftsprache durch ihre Dichtungen in Mundart.
dem Friesischen: Das Friesische ist ein Zweig der westgermanischen Sprachen und mit dem Englischen verwandt; es wurde schon früh durch das Niederdeutsche verdrängt und lebt nur noch in Lehnwörtern und Flurbezeichnungen etc. weiter.
„Diekgraf und Gevollmächtigten un wecke von de annern Interessenten! Dat is um’t hoge Water!“:ndd.; Der Deichgraf und die Gevollmächtigten und einige andere Interessenten. Das ist wegen des Hochwassers.
Diekgraf: ndd. für Deichgraf, leitender Beamter des Deichwesens. Die Gevollmächtigten waren angesehene gewichtige oder begüterte Besitzer, als Vertreter der bäuerlichen Selbstverwaltung von den Deichinteressenten gewählt, die auch als Helfer und Berater des Deichgrafen wirkten.
Interessenten sind „die wegen Landbesitz bei den Deichen interessiert sind“ (Storm).
Punschbowle: heißes Getränk, ähnlich wie Grog aus Rum zubereitetes Getränk, das vor allem in größerer Runde in einer großen Glaskugel bereitet wird.
umgelegt: verändert, angepasst.
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S. 7 |
Anno 17: Sturmflut im Jahre 1717, die größte des Jahrhunderts und darum im Volke noch lange nachwirkend.
Schulmeister: der einzige Lehrer des Dorfes.
verfehlte Brautschaft: ein zerbrochenes Verlöbnis.
behangen geblieben: ndd. he is behungn blewen; den eigenen Absichten entgegen an einem Ort bleiben. |
S. 8 |
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts: um 1750.
Sielsachen: Siele sind Schleusen im Deich zum Ablaufen lassen des Wassers ins Meer; Sielsachen meint Fragen des Sielbaus. ausgesonnen: ausgedacht.
Hans Momsen von Fahretoft: 1735 bis 1811, lebte in Fahretoft, rund 30 Kilometer nordwestlich von Husum, war Sohn eines Landmessers. Auch von ihm wird die Geschichte vom holländischen Euklid und von holländischen Hilfsbüchern erzählt, von Selbststudien und schließlicher Meisterschaft, von Spannungen mit dem Vater, Verbannung unter die Deicharbeiter und Fortbildung während der kargen Ruhepausen. Dann freilich schlägt er einen anderen Weg ein; im Sommer Landvermesser, gehört er im Winter ausschließlich seinen Liebhabereien. Er bildete sich zu einem vielfältig informierten Privatgelehrten und kann als Vorbild für die Gestalt des Hauke Haien gelten.
Bussolen: eine Kapsel mit einem Glasdeckel, worin über einer Gradeinteilung eine Magnetnadel schwingt; Instrument für die Landvermessung.
Seeuhren: speziell konstruierte Uhr für die Schiffe, die trotz der Schwankungen stets die richtige Zeit anzeigt.
Teleskopen: Fernrohre.
Orgeln: gemeint ist das Musikinstrument, das der Feinmechaniker wohl auch herzustellen verstand.
Fennen: „ein durch Gräben eingehegtes Stück Marschland“ (Storm), vom mhd. venne, Sumpf- oder Schlammland.
aufs Landmessen: Bei der Landverteilung des Marschlandes kam der Vermessung große Bedeutung zu.
Nordwest: Sturm aus dieser Richtung ist besonders gefährlich, weil sich dann in der Deutschen Bucht das Wasser aufstaut.
zu ritzen und zu prickeln: Karten „reißen“ heißt zeichnen.
Fibel oder Bibel: Die Fibel war das Buch, mit dessen Hilfe die Kinder früher das Alphabet lernten; die Bibel war daneben meist das einzige Buch im Hause und wurde deshalb wie ein Lesebuch benutzt.
frug: veraltet für fragte.
Euklid: um 300 v. Chr., „Vater der Geometrie“, sammelte und begründete das gesamte damalige mathematische Wissen; ein Werk „Stoicheia“ galt lange Zeit als Muster eines mathematischen Lehrbuches und wurde bis ins 19. Jahrhundert dem Schulunterricht zugrunde gelegt. |
S. 9 |
holländischer Euklid: in holländischer Sprache. in Ernst oder Schimpf: Schimpf hat hier die Bedeutung von Scherz.
Marschmann: Marschenbauer.
ingleichen: auf gleicher Weise. |
S. 10 |
Ostern bis Martini: Martini, 11. November, Tag nach dem Heiligen der katholischen Kirche. Zwischen diesen beiden Kirchenfesten wurde der Hauptteil der landwirtschaftlichen Arbeiten erledigt. Danach wurde gefeiert, vergl. Martinsgans.
kurieren: von lat. curare, heilen. |
S. 11 |
Das Wunderkind aus Lübeck: Christian Heinrich (Henrik) Heineken (Heinicken) (1721 bis 1725) sprach mit vier Jahren fließend Deutsch, Französisch und Latein und soll erstaunliche Kenntnisse in allen Wissensbereichen seiner Zeit gehabt haben. Das schwächliche Kind ist früh verstorben.
Haf: „das Meer“ (Storm), das Meer überm Watt.
Allerheiligentag: 1. November, Feiertag. Ehrentag für alle Heiligen und Märtyrer der katholischen Kirche.
Äquinoktialstürme: (lat.) bezeichnet die Tag- und Nachtgleiche, die zweimal im Jahr, zu Beginn des Frühlings und des Herbstes, auftritt, wenn die Sonne genau zwölf Stunden über und zwölf Stunden unter dem Horizont steht. Da in diesen Jahreszeiten häufig starke Stürme auftreten, werden sie nach dem astronomischen Phänomen benannt. |
S. 12 |
Springflut: „die ersten nach Voll- und Neumond eintretenden Fluten mit besonders hohem Wasserstand“ (Storm).
Rohrdach: das mit Schilfrohr gedeckte Dach, wie es heute noch in Schleswig-Holstein häufig zu finden ist.
Kleierde: fette, graue, tonige Erde der Marsch.
Unschlittkerze: ahd. ungislahti, das zum Essen nicht zu verwendende Geschlachtete; nach dem Schlachten werden aus dem Talg Kerzen gegossen.
Seeteufel: eine großköpfige Fischart auch: Lotte.
gnidderschwarz: glänzend schwarz. |
S. 14 |
einen stumpfen Pull von Seegras: ein rundes Knäuel aus Seegras.
blödes Mädchen: geistig behindertes Kind.
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S. 15 |
eingesegnet: konfirmiert.
Angorakater: eine besondere Katzenrasse mit langen Haaren, die in der Nähe der kleinasiatischen Stadt Angora (= Ankara) gezüchtet wurde.
Kate: Bauernhaus des kleinen Bauernknechts oder Tagelöhners.
Geest: vom fries. güst, fruchtbar, brach; „das höhere Land im Gegensatz zur Marsch“ (Storm). |
S. 16 |
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