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Filme
FilmografiePole Poppenspäler (Kinofilm) (Deutschland 1935)
Der Puppenspieler - unvollendet (Kinofilm) (Deutschland 1944/45)
Pole Poppenspäler (Kinofilm) (Deutsche Demokratische Republik 1954)
Der Film wurde 1957 unter dem Titel „Das Dorf in der Heimat“ in den Kinos der Bundesrepublik Deutschland gezeigt.
Pole Poppenspäler (Fernsehfilm) (Bundesrepublik Deutschland 1968)
Pole Poppenspäler (Fernsehfilm) (Bundesrepublik Deutschland 1989)
„Pole Poppenspäler“ in vier LiteraturverfilmungenAls im Storm-Archiv während der Vorbereitungsarbeiten zu dem Symposion „Theodor Storm und die Medien“ im Jahre 1996 eine Filmografie erstellt wurde, konnten insgesamt 30 realisierte und drei geplanten Verfilmungen Stormscher Werke ermittelt werden. Das ist für einen Schriftsteller des bürgerlichen Realismus eine erstaunlich hohe Zahl von Adaptionen. Dabei überrascht besonders die zeitliche Kontinuität: Der Zeitraum der nach seinen Werken gedrehten Kino- und Fernsehfilme umfasst 80 Jahre von der ersten Verfilmung 1917, nach der Novelle „John Riew'“, bis zur „Immensee“-Version von Klaus Gendries (1989). Die Verfilmungen Stormscher Werke bilden somit einen repräsentativen Ausschnitt der Film- und Fernsehlandschaft in Deutschland von der Kaiserzeit über Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik bis zum wieder vereinigten Deutschland unserer Tage. Unter der Fülle dieser Literaturfilmen fällt auf, dass eine Novelle die Filmemacher besonders gereizt haben muss, nämlich die von Storm 1873 als Auftragsarbeit geschriebene und 1874 in der „Deutschen Jugend“ veröffentlichte Erzählung „Pole Poppenspäler“, die viermal verfilmt wurde. Der erste Film nach der Novelle wurde 1935 unter der Regie von Curt Oertel gedreht, ein Regisseur der zwei Jahre zuvor gerade mit einer „Schimmelreiter“-Verfilmung an die Öffentlichkeit getreten war, die zu den frühsten Propagandafilmen des Nationalsozialismus gezählt werden kann. Der zweite Film wurde kurz vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs in den Jahren 1944/45 gedreht und ist - wahrscheinlich - Fragment geblieben. Die fertig gestellten Teile sind vermutlich den Flammen zum Opfer gefallen. Auch hier führte ein Filmemacher Regie, der bereits mit einer ideologisch belasteten Storm-Verfilmung Aufmerksamkeit erregt hatte, Veit Harlan nämlich, der ebenfalls zwei Jahre zuvor den „deutschen Heimatfilm“ „Immensee“ gedreht hatte und der nun gemeinsam mit dem Regisseur Alfred Braun für das Buch verantwortlich zeichnete. Als nächste Filmgesellschaft nahm sich die DEFA 1955 des Stoffes an; unter der Regie von Artur Pohl entstand ein farbiger Kinofilm, der sich in die Reihe engagierter Literaturadaptionen der fünfziger und Sechzigerjahre in der DDR einfügt und in dem sozialpolitische Aspekte betont werden.
Wiederum nach ca. einem Jahrzehnt drehte 1968 das ZDF einen Kinder- und Jugendfilm, der für das Weihnachtsprogramm gedacht war. Regie führte Günter Anders, der auf ein Drehbuch zurückgreifen konnte, das Wolfdietrich Schnurre nach Storms Novelle verfasst hatte. Der Film erregte Aufsehen vor allem durch die schauspielerische Leistung von Walter Richter in der Rolle des Herrn Tendler. Ebenfalls für das Weihnachtsprogramm gab der Bayrische Rundfunk zum 100. Todestag Storms im Jahre 1988 einen vierten Film in Auftrag, in dem unter der Regie von Guy Kubli der bekannte Darsteller Uwe Friedrichsen als Erzähler auftritt. Wir können also festhalten, dass seit Beginn der Tonfilmära etwa im Abstand von zehn Jahren jeweils ein Film nach Storms Novelle „Pole Poppenspäler“ gedreht worden ist; die Frage, die sich hier aufdrängt, lautet: Wieso haben Regisseure ausgerechnet diesen Stoff immer wieder gewählt? Diese beiden Fernsehfilme wenden sich an ein Kinderpublikum und interpretieren die Novelle unterschiedlich; eindeutig lässt sich in dem Film von 1968 die Künstlerproblematik erkennen, während der Film von 1988 der Novellenhandlung im Ganzen folgt, ohne eine profilierte Interpretation zu liefern. Literarische Kunstwerke werden interpretiert; sie gewinnen erst aus der Frage nach ihrer Bedeutung den kulturellen Wert, um dessen willen sie gelesen werden, sofern es sich nicht um bloße Unterhaltungsliteratur handelt. Die Interpretation von „Pole Poppenspäler“ ist in den letzten hundert Jahren zwei Mustern gefolgt; die einen sehen in der Novelle eine Künstlergeschichte, die anderen eine Erziehungs- und Bildungsgeschichte. Beide Interpretationsmuster können auf eine lange Tradition von literarischen Werken verweisen. Künstlernovellen waren vor allem in der Romantik beliebt; in ihnen wird zunächst das Künstlertum eines Menschen dargestellt, das zumeist mit den Bereichen des profanen bürgerlichen Alltagslebens in Konflikt gerät. Prototyp eines solchen Novelle ist Eichendorffs „Taugenichts“, der ohne Ziel und ohne geregelte Arbeit in den Tag lebt, von der Natur und der Liebe schwärmt und „irgendwie“ doch auf die richtige Bahn geführt wird. Ein Künstlerroman mit tragischem Ausgang ist zum Beispiel „Doktor Faustus“ von Thomas Mann. Daneben hat sich der Bildungs- oder Entwicklungsroman entwickelt, in dem der Lebensweg eines Menschen modellhaft als Lernprozess dargestellt wird. zum Beispiel in Goethes Roman „Wilhelm Meister“ und in Kellers „Der grüne Heinrich“. Solche Romane und Erzählungen sind häufig didaktisch, das heißt, der Autor beabsichtigt seinen Lesern eine Lehre mit auf dem Weg zu geben; das, was er vermitteln will, ist der beispielhafte Lebensweg seines Helden, dessen Schicksal als Vorbild oder als abschreckendes Negativbild gemeint sein kann. Auf Storms Puppenspielererzählung übertragen gewinnen wir ganz unterschiedliche Deutungen, je nachdem ob wir die Novelle als Künstlernovelle oder als Erzählung eines Bildungsganges lesen. Die Antwort auf unsere Frage nach der angemessenen Interpretation von „Pole Poppenspäler“ ergibt sich vielleicht aus der Wirkungsgeschichte der Novelle; Storm hatte sie 1874 im Auftrage von Julius Lohmeier geschrieben, dem Herausgeber der neu auf den Markt gekommenen Zeitschrift „Deutsche Jugend“. Von diesem Erscheinungsort hat der Autor sich bestimmen lassen und eine ganz und gar didaktische Erzählung geschrieben. Entgegen seiner sonstigen Praxis führt Storm seinen jugendlichen Leser eine Lehre vor: Paul Paulsen, der Held der Erzählung, wird durch den Spitznamen „Pole Poppenspäler“ geehrt, nicht aber verspottet, wie es die Erfinder der Schimpfnamen eigentlich intendiert hatten. Denn Paul Paulsen ist ein rechtschaffender Mann, der - nach einigen träumerischen Erfahrungen mit dem Marionettentheatern - eine bürgerliche Karriere als ehrbarer Handwerksmeister vollendet hat, weil er den Verlockungen des fahrenden Puppenspielergewerbes nicht folgte und schließlich sogar das arme Puppenspieler-Lisei von der Straße aus Elend, Not und Schande in die angesehene bürgerliche Existenz retten konnte. So führt es uns Storm vor und der Erzähler wird nicht müde, uns Paulsen wieder und wieder als Vorbild zu schildern, an dessen Lebensweg sich mancher ein Beispiel nehmen sollte. Bedenkt man die Zeit, in der Storm diese Novelle schrieb, die Gründerjahre, so wird deutlich: Hier hat der Dichter einen Stoff gestaltet, an dem das Ethos des aufstrebenden Bürgertums exemplarisch zur Erscheinung gelangen kann. Im Mittelpunkt steht die praktische, handwerkliche Arbeit, die die ökonomische Grundlage der Familie bildet, die sich im Liebes- und Seelenbund zweier Menschen gründen kann, die einander selber gefunden haben und die aus eigener Verantwortung den Bund fürs Leben eingehen. So zeigen es übrigens alle Filme außer dem von 1968, der allein die Novelle als Künstlergeschichte deutet, was nach den obigen Ausführungen eine Fehldeutung ist. Während die drei Filme von 1935, 1968 und 1988 der Textvorlage entsprechend mit dem Einzug der Puppenspieler beginnen, ist die Exposition des Films von 1954 dramaturgisch geschickter; er beginnt mit einer dramatischen Szene und weckt so die Neugierde des Zuschauers, die durch einen Rückblick befriedigt wird. Interessant finde ist, dass drei Versionen die Begegnung der Kinder an den Anfang und damit in den Vordergrund stellen.
Bei einem solchen kindgerechten Stoff lag es nahe, dass der Pädagoge Heinrich Wolgast diese Erzählung um die Jahrhundertwende zur Programmnovelle der Jugendschriftenbewegung erklären konnte. Mit der Herausgabe einer preiswerten Leseausgabe für den Unterricht (es gab den Text bis 1916 für 50 Pfennige zu kaufen) war eine Karriere des Textes als Schullektüre begründet, die sich ein ganzes Jahrhundert bis heute fortsetzen konnte. „Pole Poppenspäler“ gehört in den Kanon der Schullektüre der Sekundarstufe I, wurde und wird also von sehr vielen Schülern der Jahrgangsstufen 5 bis 8 - also im Alter zwischen zehn und 14 Jahren gelesen. Wenn eine Produktionsfirma sich dieses Stoffes annimmt, so kann sie darauf bauen, dass ein Großteil der potenziellen Zuschauer die Novelle gelesen hat oder zumindest ihren Titel kennt und weiß, dass es sich bei dem Stoff um einen Teil des literarischen Kanons handelt, der damit sofort positiv gewertet wird. Vom Dichter Theodor Storm und seinem Werk wurden zu verschiedene Zeiten unterschiedliche Bilder entworfen; unabhängig aber davon, ob Storm als „Heimat-“, „Stammes-“ und „Bauerndichter“, als „fortschrittlicher“ Erzähler oder als bedeutsamer Repräsentant des bürgerlichen Realismus beschrieben wird, die Beschäftigung mit seinem Werk im Film signalisiert sofort, dass es sich um ein kulturell wertvolles Produkt handeln muss. Eine solche Überlegung ist sowohl für die Auftraggeber als auch für die potenziellen Kunden, also die Zuschauer wirksam. Bei der Verfilmung von Storms Novelle „Pole Poppenspäler“ steht von vornherein fest, dass es sich - wie bei der literarischen Vorlage - um ein Werk von herausragender literarischer bzw. filmischer Qualität handelt, also um ein ästhetisch wertvolles Produkt. Ein solches „Qualitätsmerkmal“ war immer wichtig für die Kategorisierung von Filmen als „künstlerisch wertvoll“, weil daraus häufig Werturteile für die Eignung solcher Produkte im Bereicht der Jugendarbeit abgeleitet wurden. Letztlich stehen hinter solchen Überlegungen immer auch kommerzielle Interessen. Vergleicht man die vier filmischen Adaptionen der Storm-Novelle, so wird deutlich, wie vielfältig die Interpretationsmöglichkeiten einzelner Motive und Handlungselemente sind. Die Regisseure haben z. B. das Problem, das Storm durch die Zweiteilung der Novelle schuf, unterschiedlich gelöst, denn es liegen zwischen dem ersten Kennenlernen der Kinder und ihrer Wiederbegegnung 12 Jahre. Die in der DDR gedrehte Version lässt aus ideologischen Gründen das Kreuz fort, unter dem Paul Lisei findet; die beiden Bundesrepublikanischen Versionen vermögen es nicht an dieser Stelle eine dramatischen Spannung entstehen zu lassen. Das ist der ersten Version von 1935 deutlich besser gelungen. Ein Motiv der Novelle darf kein Regisseur übersehen, wenn er diesen Stoff als Vorlage wählt: Die von Storm dargestellte soziale Diskriminierung der „Fahrenden Leute“, die im 18. und 19. Jahrhundert von den Bürgern nicht anerkannt und sogar verachtet wurden. Sie sehen die Heimkehrsequenz aus allen vier Filmen; ich beginne mit dem jüngsten Film von 1988 und gehe dann in der Zeit zurück. Während der Film von 1988 diese Szenen nur dem Erzähler in den Mund legt - das Auftretend es Erzählers ist der einzige interessante Aspekt dieses Films, der allerdings durch das Ersetzen der möglichen Bilder durch bloßes Erzählen rückgängig gemacht wird - zeigen die drei früheren Filme Rückkehr und Hochzeit; die soziale Diskriminierung wird im Film, von 1968 mit wenigen Worten übergangen; im Film von 1954 steht sie im Mittelpunkt der dramatischen Handlung, aber auch der erste Film von 1935 lässt dieses Motiv deutlich hervortreten. Interessant sind die Veränderungen des Films von 1935 im Verhältnis zur Novelle. Der Konflikt zwischen Paulsen und Schmidt wir von persönlichen Rivalitäten abgehoben und gerät zum Fanal. Ganz ähnlich wie die Auseinandersetzung zwischen Hauke Haien und Ole Peters im „Schimmelreiter“-Film von 1933/34 tritt auch hier der Held als Führernatur in Erscheinung, die ein neues Zeitalter verkündet.
Die Beiden Filme von 1935 und 1954 enthalten die Beerdigungsszene; sie fehlt im Film von 1968, da er ja nach der Resignation Tendlers abbricht. Interessant ist, dass im Film von 1955 nach dem Tod Tendlers die soziale Anerkennung der jungen Paulsens erfolgt. Bei der Darstellung der Katastrophe Tendlers bei seinem letzten Versuch mit dem Marionettentheater erweist sich der jüngste Film als der dramatisch schwächste; im Film von 1968 steht die Kunst und damit das vernichtende Schicksal des Puppenspielers im Mittelpunkt; der DDR-Film von 1954 zeigt erneut sein sozialkritisches Engagement. Die interessanteste Abweichung sehen wir im ersten Film von 1935; hier sind die ideologischen Momente der NS-Zeit unübersehbar; wie schon bei der Auseinandersetzung zwischen Paulsen und seinem Rivalen Schmidt wird auch hier eine Lehre im Sinne der NS-Propaganda vermittelt; ein Unwetter, also die Naturkräfte vernichten Tendlers Puppentheater; die alte Zeit hat sich überholt und muss einer neuen weichen, die durch die Führergestalt Paul Paulsen geprägt wird. Die wichtigste Einsicht, die man aus der Analyse von Literaturfilmen ziehen kann, ist die, dass eine literarische Vorlage nicht verfilm werden kann, sondern dass jede filmischen Adaption eine eigenständige Übertragung in ein anderes Medium darstellt, bei der die Vorlage jeweils neu interpretiert werden muss. Der Vergleich verschiedener Filme, die nach ein und derselben literarischen Vorlage hergestellt wurden, zeigt entsprechen auch unterschiedliche Deutungen. Die so genannte „Werktreue“ allein kann also kein Maßstab zur Bewertung eines Literaturfilms sein.
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