Pole Poppenspäler - Entstehungsgeschichte
Entstehungsgeschichte
Den Anstoß zur Novelle „Pole Poppenspäler“ gab der Schriftsteller und Journalist Julius Lohmeyer, der von 1873 bis 1893 im Verlag Alphons Dürr, Leipzig, die Zeitschrift „Deutsche Jugend“ herausgab. Lohmeyer hatte sich zum Ziel gesetzt, in seiner Zeitschrift geeignete Lesestoffe für Jugendliche anzubieten; zu diesem Zweck forderte er bekannte zeitgenössische Schriftsteller zur Mitarbeit auf, darunter neben Emanuel Geibel, Eduard Mörike und Friedrich Rückert auch Theodor Storm.
Storm nahm dieses Angebot an und setzte sich unmittelbar nach Vollendung der Novelle „Viola tricolor“ an die Arbeit. Über den Arbeitsprozess berichtet er in verschiedenen Briefen:
An Paul Heyse, 17. November 1873:
Und jetzt sitze ich schon wieder mitten in einer Puppenspielgeschichte, worin ich so frech bin das Puppenspielerkind bayrisch sprechen zu lassen.
An Julius Lohmeyer, 1. Dezember 1873:
Für ein etwaniges Arrangement der bevorstehenden Hefte Ihrer „Deutschen Jugend“ gestatte ich mir, Sie vorläufig davon in Kenntniß zu setzen, daß ich mit einer längeren Erzählung beschäftigt bin, die ich für dieselbe bestimmt habe. Wenn nicht ganz besondre Hindernisse eintreten, werde ich Ihnen das M<anus>S<cript> bis Mitte Januar einsenden können. Die Erzählung, welche wohl auf zwei Hefte verteilt werden muß, ist bereits mehr als zur Hälfte vollendet.
An Alphons Dürr, 26. Dezember 1873:
Meine Erzählung für unsre(?) „Deutsche Jugend“ ist die letzte Zeit über Weihnachtsvorbereitungen u. Besuchen etwas ins's Stocken gerathen; dennoch hoffe ich Lohmeyer, der mir einen sehr lieben Brief geschrieben - der Mann ist ebenso einsichtig wie bescheiden -<,> einen wesentlichen Theil zu Neujahr in Reinschrift zu senden. Sie können Beide dann schon sehen, ob es Ihnen behagt, und solchenfalls auch schon lllustrationen dazu machen lassen, denn das zunächst Abzusendende enthält die in sich abgeschlossenen Jugenderlebnisse des Erzählers. [...] Vollendet wird meine Erzählung, wie ich bestimmt annehme, im Lauf des Januar.
An Alphons Dürr, 14. Januar 1874:
Um Ihren Wünschen entgegenzukommen, will ich mein Dispositionsrecht an der qu<ästionirten> Erzählung bis 1 Mai 1875 aufgeben; und hoffe ich daß damit dieser Punkt geordnet ist. In Betreff des Fortgangs der Geschichte wollen Sie sich völlig beruhigen; wenn ich auch wollte, ich könnte ihn gar nicht so schreiben, daß er für die Deutsche Jugend unlesbar oder unpassend wäre. In dieser Beziehung habe ich an meiner Arbeit nichts auszusetzen; wären alle Anfodrungen so befriedigt, dann würde schließlich auch ich befriedigt werden. Trotz jetzt schwerer amtlicher Arbeitslast rückt das Werkchen stetig weiter u. hoffe ich mit Ende d. M<onat>s abliefern zu können.
An Julius Lohmeyer, 29. Januar 1874:
Beifolgend, geehrter Herr Doctor, den Anfang (S. 36) sowie Fortsetzung und Schluß des „Pole Poppenspäler“. Es sind noch 40 Seiten hinzugekommen, so daß sich das Ganze jetzt auf 95 Seiten stellt. Über die Bedingungen sind wir ja einig; nur bitte ich, mir doppelte Correcturbogen und demnächst 3 Abdrucke der betreffenden Bogen zu veranlassen. Herrn Dürr bitte ich, seine kleine Rechnung von dem Honorar abzuziehen.
Da ich die anliegende Reinschrift aus dem Concept heraus u. vielfach umgearbeitet habe, so bitte ich das M<anu>sS<kript> recht vor Wasser- und Feuergefahr in Acht zu nehmen u. es baldmöglich durch den Druck unter Dach zu bringen.
Dann wäre noch mein Wunsch, wenn möglich, die Erzählung in 2 Heften zu geben. Die Theilung bestimmt sich von selbst durch den Schluß der Jugendgeschichte. Möge Ihnen denn nun auch dieser zweite Theil zusagen; nach meinem Erachten steht er dem ersten nicht nach, obgleich ich ihn unter einer Last von Brand-, Diebstahls-, Nothzuchts- u.s.w. Untersuchungen geschrieben habe, die grade in den letzten Monaten auf mich eingefallen sind. Meine Nerven tanzen aber auch jetzt; und es soll ein wenig geruht werden.
An Alphons Dürr, 14. April 1874:
Sollte der Abdruck des Satzes noch nicht vorgenommen sein, so bitte ich wo möglich noch 8 Tage damit zu warten; die Herrn Süddeutschen (Herr Offterdinger u. Prof. G. Scherer) wünschen einige kleine Correcturen im Dialect wie „Bub'n“ statt Bub“ etc. Sollte es nicht mehr möglich sein, so liegt wenig daran, da die guten Puppenspieler ja überall nicht ganz Dialect sprechen sollen, <sie> auch wohl die Dialekt-Flexion der Worte(?) in aller Herren Länder etwas verschlissen haben können.
An Alphons Dürr, 18. April 1874:
Ich werde spätestens übermorgen die kleinen Dialect-Correcturen an Sie einsenden, und bitte, mir die Revisionsbogen zu schicken, wenn auch diese im Satz berücksichtigt worden sind.
Die Äußerungen Storms belegen, dass er bei dieser Novelle, was ganz ungewöhnlich für ihn war, den ersten Teil bereits vor der Fertigstellung der ganzen Erzählung, an den Verlag zur Begutachtung geschickt hat. Den zweite Teil des Manuskripts hat Storm am 29. Januar 1874 dem Redakteur Lohmeyer zugesandt. Bei dem erhaltenen Manuskript - das erwähnte Konzept ist nicht überliefert - handelt es sich um eine Reinschrift von Storms Hand, die 97 Seiten umfasst und mit „Husum im Januar 1874“ datiert ist. Die Handschrift gibt der Forschung bis heute einige Rätsel auf; die ersten 4 Seiten sind abgetrennt und vernichtet, die Neufassung ist am Schluss nachgetragen. Es lässt sich nicht mehr klären, ob Storm bei der Reinschrift den ursprünglichen Novelleneingang verwarf und einen neuen schrieb, oder ob das Manuskript auf irgendeine Weise unleserlich geworden ist.
Storm hat sich sehr bemüht, die Tendlers bayrischen Dialekt sprechen zu lassen; hierzu informierte er sich in dem Buch von Franz von Kobell: Gedichte in oberbayrischer Mundart (München 61862); außerdem korrespondierte er darüber mit dem in Stuttgart ansässigen Literaturwissenschaftler Georg Scherer, an den er bereits am 8. Februar 1874 geschrieben hatte: „Im Monat Januar, bis zu Ende aus, habe ich sowohl als Richter, wie als Poet, in einer wahren Arbeitspresse gesessen. In letzterer Beziehung galt es eine Erzählung zu vollenden („Pole Poppenspäler“), die ich Dürr für seine „Deutsche Jugend“ versprochen hatte. Das ist denn auch gelungen; ich bin sogar so frech gewesen, die Hälfte der Personen darin süddeutschen Dialekt sprechen zu lassen; natürlich liegen die Verhältnisse so, dass sie ihn nur gemischt zu sprechen brauchen.“
Scherer muss daraufhin angeboten haben, den Text kritisch durchzusehen, denn Storm schreibt ihm am 11. April:
In p<un>cto „Pole Poppenspäler“ greife ich mit beiden Händen zu.
Nur bemerke ich: ich habe mir den Dialect aus der Gegend so zwischen Berchtesgaden u. München gedacht, bairisch u. österreichisch kann so durcheinandergehen. Auch sollen die Leute keineswegs absolut Dialect sprechen (das Kind freilich mehr) denn sie sind ja überall in Deutschland umhergezogen: die beiden Eltern haben vielleicht schon zuviel davon gekriegt. In Situationen der Erregung und der Innigkeit kann es freilich mehr leiden.
Niemals darf ein Dialect-Wort vorkommen, das für einen, der bloß Schriftdeutsch kann, unverständlich wäre.
Wollen Sie nun die Güte haben, Vorstehendes berücksichtigend, das beziehungsweise sich aus der Erzählung selbst ergiebt, möglichst schleunigst an den Rand notiren und mir dann den Abdruck schicken, so werde ich Ihnen sehr dankbar sein. Sehen muß ich allerdings die Correkturen, bevor sie abgedruckt werden; bitte Sie dafür aber gute Einfälle nicht zu sparen.
Ist es für den Abdruck in der Jugendzeitung zu spät - und es war auch meine Absicht dazu noch eine sachverständige Revision zu erbitten - ist es doch für den späteren Druck recht.
Scherer antwortete vier Tage später (am 15. April 1874):
Nun in aller Eile einige kleine sprachliche Bemerkungen zu den öster.-bair. Dialect im „Poppenspäler“, dieser ganz reizenden Erzählung, die ich mit wahrem Vergnügen gelesen habe. [...] Die Erzählung verträgt nur einen gehobenen, gl<eich>s<am> idealisirten Dialect, der sich auch noch nach den einzelnen Situationen modificirt; diesen Dialect haben Sie ganz merkwürdig richtig getroffen, so daß nur Kleinigkeiten zu berichtigen sind.
Scherer schlug 42 Änderungen der Schreibweise vor; unter anderem wies er darauf hin, dass „Casperl“ dem bairischen Sprachgebrauch, „Casperle“ hingegen und auch sonst allerhand Ausdrucksweisen Storms dem schwäbischen entsprechen. Storm änderte darauf die erste Erwähnung des Namens in den Korrekturbogen in „Casperl“. Sowohl dort wie auch in allen weiteren Buchausgaben finden sich aber folgende Schreibweisen nebeneinander: „Kasper“, „Kasperl“ und „Kasperle“.
Wir sehen aus diesen Dokumenten, wie intensiv Storm bemüht war, den Druck bis zum letzten Augenblick zu fördern und sogar einen Sachverständigen einbezog, um die Erzählung so authentisch wie mögliche erscheinen zu lassen.
1874 wurde die Novelle im vierten Band der „Deutschen Jugend“ zum ersten Mal gedruckt; die Illustrationen, die Storms volle Zustimmung fanden, stammen von Carl Offterdinger. Auch die Arbeit des Illustrators wurde von Storm kritisch begleitet. Schon in seinem Schreiben an Dürr vom 26. Dezember 1873 lobte er den Illustrator Oppenheimer, der Mitarbeiter der „Deutschen Jugend“ war, setzte aber hinzu: „dennoch ist mir, als sei für meine Geschichte der geniale Paul Meyerheym der Rechte; haben Sie keine Beziehungen zu ihm, so wird Meister Oppenheimer es auch schon machen.“ Der Verlag hat dann aber Carl Offterdinger beauftragt, die Novelle zu illustrieren. Storms Interesse an diesem Vorgang geht aus seinen Briefen an Dürr hervor.

Paul beim Drechseln. Illustration von Carl Offterdinger. In: Deutsche Jugend, Leipzig 1874
14. April 1874
Herr Offterdinger hat mir brieflich die Hoffnung gemacht, daß ich die an Sie abgesandten Original-Bilder zum „Pole Poppenspäler“ einmal zu Gesicht bekommen würde. Ich bitte daher förmlich darum, sobald die Fertigstellung der Sache es erlaubt, und verspreche in wenigen Tagen zurück zuschicken.

Pauls Vater repariert den Kasperl. Illustration von Carl Offterdinger. In: Deutsche Jugend, Leipzig 1874
31. August 1874
Darf ich an die Zusendung der bedungenen Abdrücke meiner Erzählung erinnern? Ich kann sie nicht wohl entbehren. - Von den Illustrationen finde ich Nr. 1, 2 (nur das Lisei ist hier zu jung und zu wenig lebendig) u 6 besonders gelungen. Bei N 3 ist der Kasperl nicht grotesk genug u der Paul zu jung. -

Familie Tendler. Illustration von Carl Offterdinger. In: Deutsche Jugend, Leipzig 1874
Storms Bemühungen um eine angemessene Ausdrucksweise und um gehaltvolle Illustrationen haben sich ausgezahlt; der Text stieß bei der Mehrzahl seiner Freunde und Bekannten auf Zustimmung; noch heute zeigen die Illustrationen, dass sich Offterdinger viel Mühe gemacht und die Atmosphäre der Erzählung auch anschaulich wiedergegeben hat.

Lisei und Paul als Erwachsene. Illustration von Carl Offterdinger. In: Deutsche Jugend, Leipzig 1874